Die Scheißmacht
Ich muss es ja ehrlich sagen.
Wenn wir über Internet reden, sind da wirklich wenige Sachen, die mich überraschen. Ich war dabei seit Anfang des Internets und habe alles Mögliches gesehen, seine Entwicklung, teilweise, genauso wie viele andere meiner Generation. Viel gesehen, das nicht besonders schön war und ist. Andererseits, was schafft mich noch zu überraschen, ist wie Menschen so aggressiv, respektlos, vulgär, dumm und ignorant sich benehmen können, in der falschen Anonymität des Netzes. Wenn sie auch im echten Leben so wären, könnte ich wenigstens die Kohärenz respektieren.
Jedenfalls, in medias res.
Eine erste Skizze dieser Netzarmee: die Scheißmacht. L’esercito della cazzata.
– Die Keyboard Warriors. Sie sind laut und stark mit Beleidigungen, ohne einen irgendwelchen Inhalt, können auch nicht richtig in ihrer eigenen Sprache schreiben. Das ist die erste Linie, Kanonenfutter;
– Die Möchtegern-Klugscheißer. Die leichte Kavallerie. Sie tauchen mit kurzen unintelligenten passiv-aggressiven Witzen auf, ohne zu verstehen, dass sie keinen Sinn ergeben. Sie antworten danach nicht auf Reaktionen, toccata e fuga, da sind sie schon Paganinis ohne Geigen. Mangel an Intelligenz? An Bildung? An beide? Wer weiß;
– Die Kassentelepsychologen. Jetzt kommen die großen Waffen. Die schwere Infanterie des Bullshits. Ihr habt euch nur einmal in eurem Leben getroffen, nie gesprochen, und sie wissen alles über dich: Was du studiert hast, was deine Probleme sind, wie deine Kindheit gelaufen ist und auch deine Lieblingsfarbe als du zwölf warst. Meistens ist alles ja negativ, was sie über dich sagen, da es schon praktisch ist, die eigenen Frustrationen auf Fremden auszuladen;
– Die Besserwisser. Sie sind die Feldherren des Scheißmacht. Da ist keine Diskussion möglich. Alles was sie sagen ist wahr und nur was sie linken ist wissenschaftlich, weil das ihre Meinung und Realität besser darstellt. Nur die Forscher, die ihnen gefällt, haben recht. Andere, obwohl mit gleichwertigen oder höheren Referenzen, sind falsch, und das können sie gut beurteilen. Egal die Fächer, die Themen, sie wissen alles besser, weil sie nichts wissen;
– Die selbstgefälligen Prediger. Wie alle respektablen Armeen, ist auch Personal dabei, die auf die Stimmung der Truppen sich kümmert. Sie geben moralische Unterstützung und liken die Kommentare von Kommilitonen und Kommilitoninnen, auch wenn sie sie nicht verstehen. Alle anderen Kommentare und Argumente werden durch banale aber effektive Vorwürfe gestrichen: Die Gegner sind alle Nazi (oder stalinistisch, gleichzeitig), sexistisch, rassistisch und alles, was gerade Empörung erzeugen kann.
Natürlich sind alle diese Kämpfer und Kämpferinnen rein, hart und mutig nur vorm Rechner. Wenn man sie bzw. auf der Straße trifft, kommen Unbehagen und Scham ganz schnell. Das ist auch nichts Neues. Das habe ich, mindestens, schon erfahren, als ich Online Gaming, Chats, Forums und so weiter besucht habe. Als ich sechzehn war. Damals. Es ist vielleicht ein relevanter Unterschied jetzt, dass es auch mit Erwachsenen passiert. Oder war es schon immer so? Das kann auch locker sein.